28.4.2018

Verfilmungen von Romanen bleiben oft weit hinter der Qualität des zugrundeliegenden Buches zurück. Ausnahmen bilden Projekte, bei denen ein Buch zu einer zehn- oder zwanzigteiligen Serie verarbeitet wurde. Aber wenn aus einem Buch ein Spielfilm von 90-120 Minuten Länge entsteht, ist das Resultat meistens bedauerlich.

Der Grund dafür liegt auf der Hand: Romanhandlungen sind zu komplex, um in 90 Minuten dargestellt werden zu können. Deshalb wird die Geschichte für das Drehbuch stark vereinfacht; Figuren werden gestrichen, Nebenhandlungen fallen weg, Hintergrundwissen und Vorgeschichten werden ausgeblendet, manchmal bis an die Grenze der Unverständlichkeit. Fans eines Buches mögen daher den Film, der daraus gemacht wurde, meistens weniger als das Buch selbst.

Wie steht es aber mit dem Verhältnis eines Romans zur Wirklichkeit, die er beschreibt? Passiert dort nicht genau das Gleiche? Es ist unmöglich, das ganze Leben einer Figur und die Welt um sie herum zu beschreiben; also wird auch hier ausgewählt: was ist wichtig? Was muss die Leserin wissen? Wie ergibt sich eine sinnvolle narrative Struktur?

Romane, die im Hier und Jetzt spielen, profitieren davon, dass der Leserschaft die Welt, in der die Geschichte spielt, bekannt ist. Es muss nicht alles erklärt werden. Nicht so bei Fantasy, Sci-Fi oder historischen Romanen: die beschriebene Welt ist der Leserschaft unbekannt und muss zusammen mit der Geschichte eingeführt und erklärt werden.

Was heisst das für das Schreiben eines historischen Romans? Im Unterschied zu Fantasy und Sci-Fi, wo die Autorin ihre Welt im Prinzip frei erfinden kann, ist die Autorin des historischen Romans an die historischen Gegebenheiten gebunden, die es als erstes in einer umfassenden Recherche zu rekognoszieren gilt. Je nach Epoche, Thema und Forschungsstand sind diese mehr oder weniger gut bekannt. Der ganze Roman steht daher auf einer holprigen Grundlage: gewisse Dinge sind in kleinstem Detail bekannt, andernorts klaffen grosse Lücken.

Bevor die Handlung "erfunden" werden kann, muss die Autorin als zweiten Schritt aus diesen mehr oder weniger bekannten Tatsachen und Zusammenhängen eine Auswahl treffen, aus der sich eine sinnvolle narrative Struktur konstruieren lässt. (Sinnvoll bedeutet: spannend, verständlich, mit einem Bogen.) Die Auswahl darf aber nicht zu knapp sein, denn die Leserschaft weiss nichts über die Wirklichkeit, in der die Geschichte spielt, also muss diese möglichst breit vorgestellt werden.

Und hier stellt sich der Autorin das gleiche Problem wie den Produzentinnen einer Romanverfilmung. Die Wirklichkeit ist zu komplex, um in einem Buch umfassend dargestellt zu werden, und die Komplexität muss reduziert werden, sonst würde der Roman zu einer Art Wikipedia ohne Fokus, Anfang und Ende. Gleichzeitig ist die Wirklichkeit nicht vollständig bekannt, und die Lücken müssen durch möglichst wahrscheinliche Erfindungen und Ergänzungen gefüllt werden.

Es ist daher fast nicht zu vermeiden, dass bei der einen oder anderen Leserin der Eindruck entsteht, der Roman bilde die historische Wirklichkeit ungenügend oder sogar falsch ab.

 

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